4. Aus meinem Tagebuch

Stand: 28.05.2012
Mein Tagebuch enthält nicht nur Betrübliches.
Da sind auch so einige Bolzen drin, die zeigen,
daß P. seinen Humor noch nicht ganz verloren hat.


29. November 2010, Montag

Ja, bei allen Widrigkeiten kann so eine Aphasie doch auch recht spaßig sein!
Ich besuchte P. so gegen 10:50 Uhr . . .

Als ich P. fand, bot sich mir ein erbärmlicher Anblick.
Er lag splitterfasernackt in seinem Bett und hatte sich voll gemacht.
Seine Windel lag in Stücke gepult auf dem Fußboden neben dem Bett und sein Bettzeug
lag ebenfalls auf dem Fußboden am Bettende.

Mir fiel dabei ein vereinsamter Papagei ein, der sich in seiner Einsamkeit und
Verzweiflung fast sämtliche Federn ausrupft und dann nackt auf seiner Stange im
großen Käfig sitzt.
Siehe auch im Internet unter vereinsamte Papageien

Nachdem P. von zwei Pflegerinnen versorgt war und wieder adrett im Bett lag,
fragte ich ihn, warum er sich denn die Windel vom Leib pule, aber seine Antworten
waren nicht zu verstehen, da er sehr aufgeregt war.
Das Thema paßte ihm nicht oder war für ihn schwer zu ertragen.

Später, als er sich wieder beruhigt hatte, fragte ich ihn:
"Du P., ist denn hier auch eine hübsche Krankenschwester?"
Seine Antwort kam prompt und recht gut verständlich:
"Die kannst Du nicht kriegen."
Und nach einer kleinen Pause setzte er noch einen drauf:
"Die hab ich schon alle."
Und bei dieser Antwort grinste der alte Knabe ganz breit.

8. September 2011, Donnerstag

Heute besuchte ich P. im Pflegeheim zur Abendbrotzeit.
P. war relativ munter und es entspann sich gleich zum Anfang ein kurzer Dialog:

"Na, wie geht's dir heute?"
"Genau so!  . . . beschissen wie sonst!"  (undeutlich genuschelt)
Und nach einer kleinen Pause:
"Du, das mußt du doch erzählen!"    (Fehler durch Aphasie beim letzten Wort)

Aufgrund seiner Sprachstörung kann man nicht jedes einzelne Wort ganz wörtlich nehmen.
Der letzte Satz kann auch sinngemäß bedeuten:
"Du, das mußt du doch wissen!"

Bevor das Abendbrot kam habe ich P. noch vergattert, daß er sich zum Essen aufrecht hinsetzen sollte, damit er sich nicht verschluckt.
Oha, das hat ihm nicht gepaßt!
Er brabbelte einige unverständliche Sätze und fuhrwerkte mit der Bett-Fernbedienung herum.
Selbst Schwester E. spielte mit, obwohl sie bei der Rollstuhl Arie eher zu sanft war . . . und B. spielte dieses für ihn neue Spiel mürrisch mit.

Irgendwann verschluckte er sich dennoch und hustete so laut, daß man das bis ans Ende des Flures hören konnte.
Ja, so im Bett sitzt man doch nicht so ganz aufrecht.

Nun kommt die große Frage:
Wie weit läßt man P. seinen sogenannten "Freien Willen"
und wo fängt der - im Gesetz verbotene - "Zwang" an?

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